Bismarckstraße 40 in Charlottenburg

Künstler: Helmut Kissel, Pastor im Ruhestand, 2009

Aus der Berliner Zeitung vom 29.01.2009
Roter Jesus auf gelbem Esel
Ein 80-Jähriger aus Bad Tölz malt der Friedenskirche ein expressionistisches Gemälde an die Wand
Birgitt Eltzel

CHARLOTTENBURG. Das Kreuz hängt nicht mehr an der Wand. Es wird künftig frei im Raum stehen, für jeden gut sichtbar. Denn die Apsis der Friedenskirche an der Bismarckstraße bietet keinen Platz mehr dafür. Dort ist in den vergangenen drei Wochen ein 80 Quadratmeter großes expressionistisches Wandgemälde entstanden. In seiner Mitte reitet Jesus Christus als “Friedefürst” auf einem Esel. Heute wird das acht Meter hohe Gerüst abgebaut. Bis zum Sonnabend kann der Maler, der 80-jährige Helmut Kissel aus Bad Tölz, noch einige Korrekturen vornehmen. Am Sonntag beim Gottesdienst um 10 Uhr wird die Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde Charlottenburg (Baptisten) das Bild einweihen.
Bei den Motiven konnten die etwa 130 Gemeindemitglieder und auch viele andere Kirchenbesucher mitreden: “Links und rechts des Friedefürsten sind repräsentative Orte aus Ost- und West-Berlin zu sehen”, erläutert Kissel. Er habe viele Hinweise erhalten, was er zeigen sollte. “Es waren natürlich zunächst Gebäude aus Charlottenburg.” So hat er das Schloss verewigt und das jüdische Gemeindehaus in der Fasanenstraße. Kissel zeigt aber auch den Fernsehturm und die Oberbaumbrücke, alles in leuchtenden Farben. Und vielleicht finden auch noch die Moschee in der Brienner Straße und die Rosa-Luxemburg-Brücke im Großen Tiergarten Platz, wie einige Besucher vorgeschlagen haben. “Das entscheiden wir noch operativ”, sagt er.
Nur in einem hat der ausgebildete Kunstmaler und studierte Theologe nicht mit sich reden lassen, seinem zentralen Motiv: dem Friedefürst Jesus. Anders als in der biblischen Vorlage reitet der Gottessohn nicht in Jerusalem ein, sondern in Berlin – zu erkennen am Brandenburger Tor. Auch die zerborstene Mauer ist zu sehen. “Das soll Denkanstöße zum Thema Frieden geben”, sagt Helmut Kissel. Gleichzeitig steht es für die Friedenskirche, die in diesem Jahr 111 Jahre alt wird. Diese befindet sich, wie es früher bei vielen Synagogen, Moscheen und Freikirchen üblich war, in einem Hinterhof. Zehn Jahre lang, von 1908 bis 1918, wurde das Gebäude als Synagoge genutzt.
Kissel hat bereits vor zehn Jahren in einer Baptistenkirche in Wedding ein 120 Quadratmeter großes expressionistisches Wandgemälde geschaffen. Dass er nun in Charlottenburg zum Pinsel griff, hat auch etwas damit zu tun, dass sein Sohn Hendrik dort Pastor ist. “Wir wollten schon lange unsere Kirche verschönern”, sagt der 44-Jährige. Der Gemeindevorstand habe ihn dann gebeten, Kissel senior zu fragen, ob er dabei behilflich sein wolle. Und er wollte.Im vergangenen Sommer wurden die ersten Ideen des Künstlers diskutiert. “Obwohl wir viele ältere Leute in der Gemeinde haben, die Wert auf Traditionelles legen, haben auch diese den expressionistischen Stil akzeptiert”, sagt der Pastor. “Nur manchmal hieß es: ,Das ist ja ziemlich viel Rot’”, ergänzt der Vater. Das Bild malte er ehrenamtlich. Die Farben bezahlte die Gemeinde, als Honorar gab es das Mittagessen gratis.Acht bis zehn Stunden täglich stand der Pensionär in den zurückliegenden drei Wochen auf dem Gerüst. Zu anstrengend sei ihm das nicht gewesen, sagt er: Immerhin unternehme er noch zweimal wöchentlich Touren in die Alpen – “bis auf 2 000 Meter”. “Ich bin gut trainiert”, sagt er. Und Angst, dass er aus acht Meter Höhe hinunterstürzen könne, habe er auch nicht. Augenzwinkernd sagt er: “Das wird Gott ja wohl nicht mit mir vorhaben.””Wir sind ganz schön mutig”, sagt Brigitte Spielmann (68), die für die Gemeinde den Büchertisch organisiert. Das Bild sei schon ziemlich modern. Gerade das gefällt Ronny Brandt. Der 21-Jährige aus Herford macht gerade ein Praktikum in der Charlottenburger Gemeinde. “So ein ausdrucksvolles Gemälde bräuchten wir zu Hause auch”, sagt er. Die Gotteshäuser der evangelischen Freikirchen wirkten manchmal viel zu trostlos und steril. “Kräftig Farbe kann da gar nicht schaden.”
Aus der Berliner Zeitung vom 02.02.2009
Der Friedefürst reitet
Foto: Jesus Christus ist kaum erkennbar, nur ein roter Schemen. Als Friedefürst reitet er auf einem Esel durch das Brandenburger Tor. Rechts und links auf dem expressionistischen Gemälde in der Friedenskirche an der Bismarckstraße sind markante Gebäude aus Charlottenburg und anderen Stadtteilen zu sehen. Gestern wurde das Bild eingeweiht.